Bildung & Erziehung
zurück zur ÜbersichtKurzbericht zur aktuellen Projektsituation in der K.I.g.A. - 08.12.2006

In den vergangenen Jahren absolvierten SchülerInnen von unterschiedlichen Schulen ihr Praktikum bzw. ihre „Berufsqualifizierenden Maßnahmen“ bei der KIgA. Das besondere Angebot der KIgA besteht in einer ganztägigen, individuellen Betreuung der PraktikantInnen sowie in der Verknüpfung von interessanter und zielgruppenorientierter historisch-politischer Bildungsarbeit mit nützlichen Erfahrungen bezüglich der Arbeitswelt und eines Umgangs mit dem Computer - unter Anleitung eines interkulturellen
PädagogInnen-Team.
Grundsätzlich sollen im Rahmen der Praktika antisemitische Ressentiments dekonstruiert werden. Dabei stellt im Kontext so genannter „Holocaust-education“ der lokale Bezug einen wesentlichen Ansatz dar, d.h. die Jugendlichen werden in ihrem unmittelbaren Umfeld abgeholt und für die Auseinandersetzung mit dem Thema motiviert. Da die Holocaust-education, trotz aller unzweifelhafter Bedeutung als Thema für die Pädagogik, vor Antisemitismus (insbesondere in einer Einwanderungsgesellschaft) nicht immunisiert, werden auch andere historische, kulturelle und politische Themen zum inhaltlichen Gegenstand.
Im Kontext des von der „Delbrück’schen Familienstiftung“ geförderten Rahmens, wurden drei Betriebspraktika durchgeführt, wobei das dritte Praktikum gegenwärtig noch läuft (Ende des Praktikums am 15.12.2006).
Das erste Praktikum unter dem Titel „Verfolgung und Widerstand in Neukölln und Kreuzberg“ wurde vom 19.06. - 30.06. 2006 mit vier SchülerInnen der Neuköllner Albrecht-Dürer-Oberschule durchgeführt. Inhaltlich folgte diese Durchführung dem Ansatz, die Jugendlichen mit dem Themenfeld Antisemitismus und jüdisches Leben zu sensibilisieren, wobei der lokalhistorische Aspekt, anders als in den vorangegangenen Praktika, um den Bezirk Neukölln erweitert wurde. Dies wurde mit der Zielgruppe begründet, die ausnahmslos aus Neukölln stammte. Neben den Recherchen zum jüdischen Leben beschäftigten sich die SchülerInnen auch mit dem jüdischen Widerstand der Herbert-Baum-Gruppe, da diese jungen Widerstandskämpfer hauptsächlich aus Kreuzberg und Neukölln stammten. Im Rahmen dieser Beschäftigung wurde u.a. die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ besucht. Im Mittelpunkt des Praktikums stand die Erarbeitung eines Rundgangs zum jüdischen Leben und Widerstand vor und während des NS. Dieser Rundgang wurde zum Abschluss des Praktikums durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer kleinen Broschüre dokumentiert.
Das zweite Praktikum unter dem Titel „Juden in X-Berg“ wurde vom 16.10. – 27.10. 2006 mit Schülern der Wilmersdorfer Marie-Curie-Oberschule durchgeführt. Im Rahmen dieses Praktikums haben sich die Praktikanten wie auch die beiden PädagogInnen intensiv mit dem Thema „Spurensuche zu jüdischem Leben in Kreuzberg“ beschäftigt. Den beiden Praktikumsleitern war es wichtig vielfältige didaktische Mittel in den Praktikumsverlauf einzubringen. So waren Außenaktivitäten, beispielsweise zur Synagoge am Fränkelufer, ins Kreuzberg Museum oder ins jüdische Museum, sowie kontinuierliche Arbeiten an einer Broschüre, Bestandteil des Praktikums.
Über Inhalt, Verlauf und Ergebnis des Praktikums im Folgenden nun ein Bericht der beiden Praktikumsleiter Natalie Mevissen und Ralf Fischinger:
„Für den ersten Tag organisierten wir für die zwei Schüler eine Ralley durch den Kiez. Sie bekamen von uns die Aufgabe, sich mit einem Aufgabenblatt auf Spurensuche im Kiez zu begeben. Dafür nahmen wir die Stolpersteine zur Grundlage und forderten die Jugendlichen auf, bei bestimmten, von uns vorgegebenen Adressen nach „Spuren“ d.h. Stolpersteinen zu suchen. Dabei trafen wir bereits in der Vorbereitung eine Vorauswahl, sodass die Schüler am ersten Tag bereits mit allen Namen und Adressen in Kontakt kamen, zu denen sie im Laufe der Woche gemeinsam mit uns arbeiteten. Die Schüler waren sehr begeistert von der Ralley und wir bewerteten es im Nachhinein auch als Erfolg, dass wir den Schülern so einen sehr aktiven und plastischen Einstieg in die Thematik bieten konnten. In den folgenden zwei Wochen erinnerten sie sich immer wieder an die Ralley, wenn im Zusammenhang mit Recherche oder Museumsbesuch bestimmte Namen oder Adressen fielen. Sie hatten dann zumindest das Bild des Hauses im Kopf, in welchem sich das Schicksal der jeweiligen jüdischen Familie abspielte. Für uns war es wichtig, ihnen einen sehr lebendigen Zugang zur Geschichte jüdischen Lebens im Kiez zu vermitteln, der sich abhebt vom Schulwissen über Nationalsozialismus, welches sehr faktenorientiert und trocken ist und überhaupt nichts über jüdisches Leben vermittelt.
Aus diesem Grund hatten wir auch im Vorfeld einen Kontakt zu Itai geknüpft, der aktiv in der jüdischen Gemeinde und in der Kreuzberger Synagoge am Fraenkelufer ist. Bei einem Treffen mit ihm und den Schülern erzählte er von der Geschichte der Synagoge und der jüdischen Gemeinde in Kreuzberg, des Weiteren gab er eine Einführung in die Traditionen und verschiedenen Glaubensrichtungen der jüdischen Religion. Im Anschluss daran, stellte er sich den Jugendlichen als Interviewpartner zur Verfügung. Mit einem Aufnahmegerät dokumentierten sie dies und werteten es danach gemeinsam mit uns aus und transkribierten Teile daraus. Im Interview erzählte Itai vor allem, was jüdisches Leben heute bedeutet, gab einen Einblick in aktuellen Antisemitismus, erzählte, was ihm Angst macht und was Hoffnung. So konnte den Jugendlichen ein sehr lebendiges Bild über die Kontinuitäten des Antisemitismus in Deutschland vermittelt werden sowie über seine heutigen Erscheinungsformen v. a. als deutscher Antisemitismus und islamistischer Antisemitismus. Zusätzlich ermöglichte Itai den Jugendlichen einen Besuch der Synagoge und erläuterte dort die Besonderheiten des jüdischen Glaubens.
Nach der Ralley stand ein Besuch im jüdischen Museum an. Ein Mitarbeiter des jüdischen Museums leitete eine Führung zu „NS-Zeit aus jüdischer Sicht“. Der Gedanke dahinter war, eine zusätzliche Perspektive zu schaffen. Die beiden Praktikanten sollten sich mehr in das Leben der jüdischen Menschen einfühlen können und dazu einen anderen Bezug bekommen, als den, der durch bloße Zahlen ausgedrückt wird.
Unser zweiter Museumsbesuch war im Kreuzberg Museum. Der Museumsdirektor empfing uns und erzählte uns ausführlich etwas zu der Geschichte der jüdischen Mitbewohner in Kreuzberg vor 1933.
Eines der „Highlights“ war der Besuch im Archiv des jüdischen Museums. Eine Mitarbeiterin des Archivs hat mit den Schülern an Originaldokumenten gearbeitet. Dabei haben sie einerseits kennen gelernt, wie das Archiv arbeitet und andererseits war es eine regelrechte Spurensuche, da sie selber die Familiengeschichte eines jüdischen Arztes zwischen 1933 und 1945 an den Originaldokumenten rekonstruieren mussten. Dadurch wurde eine viel größere Nähe zu den geschichtlichen Ereignissen und dem Überleben der Familie Fränkel hergestellt.
Die zweite Woche des Praktikums wurde ausschließlich zum Fertigstellen der Artikel für die Broschüre und dem layouten dieser verwendet.“
Das dritte Praktikum hat am 27.11.06 begonnen und wird am 15.12.06 enden. An diesem Praktikum nehmen vier Schüler der Kreuzberger Eberhard-Klein-Oberschule teil. Der inhaltliche Schwerpunkt umfasst hier, anders als in den vorgenannten Praktika, das Themenfeld Islam sowie Islamismus und islamistischer Antisemitismus. Alle teilnehmenden Schüler besitzen einen Migrationshintergrund. Ein Bericht über Inhalt, Verlauf und Zielsetzung dieses Praktikums folgt.
Mit freundlichen Grüßen
Mirko Niehoff
K reuzberger
I nitiative
G egen
A ntisemitismus
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